Im Juni 2020 hatte mich der selbe Fahrer auf einer Landstraße innerhalb von zwei Wochen zwei Mal mit zu wenig Abstand überholt. Beide Male zeigte ich den Vorfall bei der Bußgeldstelle Pforzheim an. Dazu gab es, wie sonst auch, Fotos aus dem Video des Überholvorgangs, in dem Kennzeichen, Abstand und auch der Fahrer erkennbar waren.

Es ist inzwischen bekannt, dass sich die Bußgeldstelle Pforzheim verschiedene Kategorien ausgedacht hat und auf Grundlage dieser selbst Überholvorgänge auf Landstraßen mit unter einem Meter als (l)egal ansieht, wenn z. B. das Fahrzeug mittig der Mittellinie gefahren wurde.

Deshalb vermute ich, dass eine der beiden Anzeigen gar nicht bearbeitet wurde. Doch in dem anderen Fall war es wohl eindeutig, sodass der Fahrer ein Verwarngeld von 30 € zahlen sollte.

Der Fahrer legte Widerspruch ein und die Sache landete vor Gericht. Der Gerichtstermin war Mitte 2021. Vom geladenen Gutachter erfuhr ich erst vor dem Gerichtssaal.

Ich will hier nicht auf die Details des Ablaufs eingehen sondern nur auf den Sachverhalt des Überholmanövers.

Abstandshalter und Fahrrad

Vorab ein paar Informationen zum Abstandshalter, den ich damals verwendete:

  • Eine Poolnudel.
  • Wenn sie gerade abstand, dann war sie genau 30 cm breiter als der Fahrradlenker an der linken Kante. Dies erklärte ich auch vor Gericht.
  • Am Ende der Poolnudel war ein rotes Schild befestigt. Das rote Schild war so befestigt, dass es circa 5 bis 10 cm über die Poolnudel hinaus nach links ragte.
  • Zusätzlich zum roten Schild war auch eine gelbe Fahne an der Poolnudel befestigt.

Die Breite meines Fahrrads betrug damals ca. 80 cm. Ich hatte dem Gericht die genauen Maße erläutert.

Gutachter

Die Aussagen des Gutachters basierten auf diesen fünf Fotos, die ich der Anzeige beigefügt hatte:

Der Gutachter führte aus:

  • Der Fahrstreifen sei an dieser Stelle circa 3,5 m breit.
  • Nach rechts zur Linie hatte ich einen Abstand von circa 0,4 m.
  • Rechts der Linie sei die Straße noch 10 bis 15 cm asphaltiert.
  • Er nannte die Breite des betreffenden Fahrzeugs, an die ich mich nicht erinnern kann und auch nicht notiert hatte.

So wie ich das verstanden habe, hat der Gutachter den Abstand errechnet. Aus den Daten, die er (vor Ort?) gemessen hat, aus der Breite des Fahrzeugs und dessen Position. Daraus habe er einen Überholabstand von 1,4 Metern ermittelt.

Der Fahrer behauptete, er habe genügend Abstand zu mir gehalten, ich sei jedoch beim Überholtwerden nach links gefahren, sodass der Mindestabstand dann unterschritten worden sei. Dies konnte der Gutachter nicht bestätigen. Seiner Beurteilung der Fotos nach sei ich gerade gefahren.

Hier ein Foto von vorne, das in der Anzeige nicht enthalten war, aber vielleicht bei der Bewertung im Blogbeitrag hilft:

Einstellung des Verfahrens

Obwohl außerorts ein Mindestabstand von 2 m laut Straßenverkehrsordnung vorgeschrieben ist und der Gutachter feststellte, dass dieser unterschritten war, stellte die Richterin das Verfahren ein, sodass der Fahrer das Verwarngeld in Höhe von 30 € nicht bezahlen musste.

Fazit

Da das Verfahren von der Bußgeldstelle aus lief, hatte ich leider keine Möglichkeit, das Gutachten anzusehen. Es würde mich schon sehr interessieren, wie der Gutachter auf eine Breite von 3,5 m des Fahrstreifens kam, von wo aus er gemessen hat und so weiter. Da ich nur als Zeuge geladen war, durfte ich auch nichts dazu sagen.

Zwei Dinge kann ich gar nicht nachvollziehen:

  1. Ich habe über die Zeit dank des OpenBikeSensors ein Gefühl dafür entwickelt, wie viel Abstand beim Überholen bestand, da der Sensor auch immer den gemessenen Abstand direkt anzeigt. Dieser Überholvorgang war gefühlt eher im Bereich 0,6 – 0,8 m. Leider war der Sensor zu dem Zeitpunkt nicht eingeschaltet.
  2. Dass das Gericht das Verfahren einstellte, obwohl der Gutachter bestätigte, dass es deutlich unter 2 m waren.

Ich kann nur spekulieren, dass die Bußgeldstelle Pforzheim aufgrund des Ausgangs dieses Verfahrens noch skeptischer werden dürfte in Bezug auf Anzeigen wegen Abstandsverstößen.

Versuch einer eigenen Auswertung

Ich weiß, dass “meine” Auswertung keine korrekte Berechnung ist. Ich will damit aber deutlich machen, wie stark der vom Gutachter angegebene Überholabstand von meiner Einschätzung abweicht.

Ich habe mal den Überholabstandsgenerator von Joschtl bemüht und folgende Werte eingestellt:

  • Fahrstreifenbreite 350 cm
  • Fahrradbreite 80 cm
  • Abstand nach rechts 40 cm
  • Fahrzeug vom Typ 0 (inklusive Seitenspiegeln 200 cm, was zum verwendeten Fahrzeug passt).

Daraus ergibt sich folgendes Bild:

Das Fahrzeug müsste bei 1,4 m Überholabstand mit mehr als der Hälfte über die Mittellinie gefahren werden. In den Fotos für die Anzeige sieht man jedoch, dass der linke Reifen nur ein kleines Stück von der Mittellinie entfernt ist oder sogar plan daneben liegt.

Ich habe ein bisschen mit den Werten herumprobiert. Um auf das obere Bild zu kommen, muss ich einen Überholabstand von 82 cm einstellen:

Solch ein Wert passt schon eher zum visuellen Erlebnis von selbst erlebten Überholvorgängen mit anschließender Anzeige der Messwerte auf dem OpenBikeSensor. Bei 1,4 m sind die Fahrzeuge deutlich weiter weg, siehe unten.

Vergleiche mit gemessenen Überholmanövern von früher

Dieses Foto aus einem anderen Blogbeitrag entstand zufällig nur circa 20 Meter von der Position entfernt, an dem mich der Fahrer überholte, um den es hier im Beitrag geht. Der damals vom OpenBikeSensor gemessene Abstand betrug 144 cm. Dieses Fahrzeug war damals ungefähr mittig auf der Mittellinie positioniert. So hätten also 1,4 m in etwa ausgesehen und das hätte auch meinen Erfahrungen entsprochen:

Hier noch einmal das Bild des Überholmanövers, um das es bei Gericht ging, damit man nicht zum Vergleichen hoch und runter scrollen muss:

Hier zwei weitere Fotos von Überholmanövern, die früher passierten. Sie stammen von einem älteren Blogbeitrag, zu denen es auch Messwerte vom OpenBikeSensor gab. Es geht hier nur um die Abstände vom Fahrzeug zu mir.

Gemessener Abstand von 85 cm:

Gemessener Abstand von 138 cm:

Ende.