Spoiler: Auf dem Titelbild ist der Überholabstand aus Sicht der Bußgeldstelle in Ordnung; doch ich müsse weiter rechts fahren.
Update (17.07.2020): Die Geschichte geht weiter, siehe hier.
Vorab: Ich bin dankbar dafür, dass die Mitarbeiter der Bußgeldstelle die Kommunikation mit mir aufgenommen haben. Soweit ich weiß, könnten sie auch einfach gar nicht reagieren; denn es gibt bei Ordnungswidrigkeitenanzeigen keinen Anspruch auf Information an den Anzeigenden. Ich gehe auch davon aus, dass man bei der Bußgeldstelle nach bestem Wissen und Gewissen arbeitet. Ich habe jedoch den Eindruck, dass man dabei auf nicht mehr ganz aktuelle Informationen zurückgreift.
Der Hintergrund ist, dass ich in den vergangenen Tagen einige Ordnungswidrigkeitenanzeigen via E-Mail an die Bußgeldstelle in Pforzheim geschickt hatte. Nach ein paar Tagen bekam ich zuerst eine allgemeine Antwort zu den Anzeigen, aber auch Informationen bezogen auf einzelne Fälle und ob ein Verfahren in diesen eingeleitet wurde oder nicht.
Los gehts mit einer Bitte, dann mit der allgemeinen Antwort auf meine Anzeigen, gefolgt von einem Vergleichsbild aller Fälle. Danach wird jeder Fall einzeln erläutert.
Bitte um Unterstützung
Gibt es für diese Angelegenheit Menschen bei ADFC, VCD oder anderen Organisationen, die sich mit der Bußgeldstelle über den aktuellen rechtlichen Stand zu Rechtsfahrgebot und Mindestabstand auf fachlicher Ebene auseinandersetzen und die aktuelle Rechtslage argumentieren können? Ich bin damit überfordert.
Die allgemeine Antwort
Man habe meine zahlreichen Anzeigen unter großem Zeitaufwand gesichtet, teils Verfahren eingeleitet, bei einigen Anzeigen jedoch nicht.
Es wird ausgeführt, dass bisher nur „ausreichender Seitenabstand definiert sei“, jedoch noch kein Maß vorgegeben sei. In der Regel werde ein Abstand von 1,5 Metern als sinnvoll erachtet, könne jedoch abhängig sein von:
- der Beschaffenheit des Fahrzeugs (Lkw, Pkw)
- der Fahrgeschwindigkeit
- der Fahrbahnverhältnisse
- der Wetterverhältnisse
- der Eigenart des Eingeholten (Kind, Erwachsener)
Jetzt kommt der Punkt, denn ich überhaupt nicht nachvollziehen kann: Wo die Fahrzeuge deutlich über der Mittellinie (mit ca. 1/3 der Fahrzeugbreite) ausweichen, scheint der Bußgeldstelle der Abstand generell ausreichend, insbesondere, weil ich möglichst weit rechts zu fahren hätte.
Auch argumentiert die Bußgeldstellt mit dem Rechtsfahrgebot, da auf einigen Bildern erkennbar sei, dass ich manchmal selbst nicht „möglichst weit rechts“ fahre.
Anmerkung von mir: Die Gründe, weshalb man als Fahrradfahrender nicht ganz rechts fahren sollte, habe ich hier aufgeführt. Und ja, dafür gibt es auch rechtliche Grundlagen. Ich fahre auf Landstraßen meist so, dass von der rechten Kante des Lenkers noch ca. 30 cm Abstand zur rechten Fahrbahnbegrenzungslinie bleibt. Da ich selbst ca. 86 cm breit bin, rage ich somit ca. 1,16 m in den Fahrstreifen hinein. Und ich dürfte nach meinem Verständnis sogar noch weiter links fahren. Wenn allerdings gerade Gegenverkehr kommt, dann fahre ich oftmals noch weiter nach links, damit klar ist, dass nicht überholt werden kann. Auch wenn ich bei Gegenverkehr ganz rechts fahren würde, gäbe es trotzdem nicht ausreichend Platz zum Überholen, ohne dabei den Mindestabstand massiv zu unterschreiten.
Die Bußgeldstelle zitiert § 2 Absatz 2 der StVO:
Es ist möglichst weit rechts zu fahren, nicht nur bei Gegenverkehr, beim Überholtwerden, an Kuppen in Kurven oder Unübersichtlichkeit.
§ 2 Absatz 2 StVO
Dann wird auf einen Kommentar zum Straßenverkehrsrecht (Hentschel § 2 RNr. 42) verwiesen. Da mir die urheberrechtliche Lage dazu nicht klar ist, will ich das hier nicht abschreiben.
Zusammenfassend hieße dies (der Kommentar), so die Bußgeldstelle, dass auch ich ausweichen müsse, um ein Überholen zu ermöglichen; wenn nicht, beginge ich eine Ordungswidrigkeit.
Man werde demnach in den Fällen, wo zu sehen ist, dass ich mit großem Abstand zur rechten Fahrbahnbegrenzung oder Bordstein fahre (bei parkenden Fahrzeugen entsprechend mehr), in „beiderseitigem“ Interesse von der Einleitung eines Verfahrens einsehen.
Alle Fälle im Bildvergleich
Hier die Screenshots der Fälle zum Vergleich.
Erläuterungen zu den Fällen
Fall A (kein Verfahren)
Dies sei ein typisches Beispiel, dass ich mich selbst nicht an die Regel gehalten hätte, da ich mit großem Abstand zum rechten Fahrbahnrand fahren würde. Demnach kein Verfahren.
Fall B (kein Verfahren)
Die Bußgeldstelle schreibt dazu, dass ein Kleinwagen nicht so breit sei, um viel auf die Gegenfahrbahn ausweichen zu müssen. Abstand sei aus dieser Perspektive nicht gut schätzbar. Zudem würde ich nicht möglichst rechts fahren.
Wegen der schlecht einschätzbaren Perspektive habe ich diesen Screenshot der nach vorne gerichteten Kamera zugeschickt. Da die Sonne gerade hinter mit ist, kann man anhand des Schattens den Abstand zum überholenden Auto, aber auch den Abstand nach rechts, sehr gut erkennen.
Die Antwort per E-Mail kam prompt. Ich möchte den Hauptteil der Argumentation hier komplett veröffentlichen, da ich sie so krass finde.
…zum einen, ja man sieht auf diesem Bild sehr gut den Abstand und Ihre Fahrweise…
Das Fahrzeug hält unter Berücksichtigung von Fahrzeugtyp (Kleinwagen), Wetter und Straßenbeschaffenheit, und der Tatsache, dass auf dem Fahrrad kein Kind fährt, einen ausreichenden Sicherheitsabstand ein. Auf diesem Bild ist absolut kein Verstoß seitens des Fahrzeugführer/in zu erkennen !
Deutlich ist aber zu sehen, dass Sie – obwohl Sie überholt werden – nicht möglichst weit rechts fuhren.
Fall C (kein Verfahren)
Die Bußgeldstelle schreibt dazu, das Fahrzeug weiche deutlich auf die Gegenfahrbahn aus. Der Abstand sei ausreichend.
Fall D (Verfahren eingeleitet)
Hier sein ein Verfahren eingeleitet worden; obwohl ich laut Bußgeldstelle durchaus noch ein wenig weiter rechts hätte fahren können. Aber selbst dann wäre laut Bußgeldstelle der Abstand des Fahrzeugs zu mir knapp gewesen.
Wird hier von Fahrradfahrenden erwartet, dass sie rechts auf der weißen Linie fahren?
Interessant finde ich hier, dass das Fahrzeug aus Fall C nur ein paar Zentimeter mehr Abstand hatte; dort wurde jedoch kein Verfahren eingeleitet.
Fall E und F (Verfahren eingeleitet)
Hier sei ein Verfahren eingeleitet worden, da der Sicherheitsabstand zu gering gewesen sei.
In einer weiteren Anzeige war es ähnlich knapp, auch hier wurde ein Verfahren eingeleitet. Es gab keinen Hinweis auf „rechts fahren“, obwohl ich im rechten Drittel fuhr, wie auch im Fall D.
Fall G (Verfahren eingeleitet)
Hier wurde ein Verfahren eingeleitet aufgrund des Fotos der nach hinten gerichteten Kamera, obwohl es laut Bußgeldstelle „grenzwertig“ sei.
In der Ansicht der nach vorne gerichteten Kamera, die ich nicht an die Bußgeldstelle geschickt hatte, weil ich es nicht für relevant hielt, erkennt man, dass der Abstand zu mir in etwa so groß wie bei Fall A, wo man behauptet, der Abstand sei groß genug.
Fazit
Die Argumentation der Bußgeldstelle zusammengefasst (wie ich sie verstehe):
- Wenn das überholende Fahrzeug zu 1/3 (der eigenen Breite) auf der Gegenspur fährt, dann sei der Abstand immer groß genug, weil man nicht vom tatsächlichen Abstand ausgeht sondern von dem, der sich ergeben würde, wenn ich ganz rechts fahren würde.
- Selbst auf Bildern, auf denen zu sehen ist, dass ich rechts nur ein paar cm Platz lasse zwischen rechtem Lenkerende und Begrenzungslinie, wird darauf verwiesen, dass ich noch ein wenig weiter rechts hätte fahren können. Man erwartet demnach, dass ich auf der Linie fahren solle.
Daraus folgt schließlich nach meinem Verständnis: Wenn ich nicht ganz rechts fahre, so ist das ein Ausschlusskriterium für ein Verfahren.
Oder härter formuliert: Wenn ein Autofahrender einen Fahrradfahrenden sieht, der nicht ganz rechts fährt, so darf er/sie/es diesen mit einem tonnenschweren Fahrzeug belehren, bedrängen, oder sonstwie seinen niederen Beweggründen freien Lauf lassen und muss nicht einmal ein Verfahren wegen einer Ordnungswidrigkeit fürchten.
Wenn das alles zutreffend sein sollte, dann wäre das meiste, das ich in den vergangenen Jahren zum Mindestabstand und zum Rechtsfahrgebot gelesen habe, absoluter Mumpitz.
Und jetzt, bitte, hilf mir jemand.
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